Der Leidensweg und schliesslich erfolgreiche  Prozeßweg zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eines zunächst endgültig gescheiterten Medizinstudenten zum Arzt und sein Zivilprozeß bis zum Bundesgerichtshof  mit dem Prozessgewinn auf sehr hohen Schadensersatz wegen fehlerhafter Prüfungsentscheidung (Amtshaftung) gegen das Institut für medizinische Prüfungsfragen in Mainz (IMPP).

Siehe zum Unterschied auch den unten geschilderten, allerdings tragischen Fall des 1944 geborenen Jurastudenten, der wegen der nichtbestandenen Prüfung depressiv wurde und Jahrzehnte lang, wahrscheinlich noch immer um sein Recht kämpft. vgl. NVwZ 2008, 289.

Urteilsfolge:

BayVGH, 7 B 92.2000 vom 12.05.1995,
LG Mainz, 4 O 163/98 vom 23.03.1999,
OLG Koblenz, 1 U 843,99 Grundurteil vom 04.04.2001 (NVwZ 2002,764; NVwZ-RR 2003,7)
BGH, III Z R 140/01 vom 22.11.2001
OLG Koblenz, Schlußurteil vom 17.07.2002

Der Medizinstudent war beim 2. Teil der ärztlichen Prüfung im Juli/August 1990 an 2 Punkten im Multiple-choice-Prüfungsverfahren endgültig gescheitert. Dem Studenten gelang es in zweiter Instanz vor dem Bayer. Verwaltungsgerichtshof nachzuweisen, daß die Musterlösung des IMPP bei diesen beiden Fragen falsch war, jedoch seine Antworten richtig.

Durch die Verfahrensdauer hat der Student 5 Berufsjahre verloren. Er ist jetzt promovierter Arzt mit eigener Praxis. Der BGH und das Oberlandesgericht Koblenz haben ihm im Schadensersatzprozeß dem Grunde nach voll und der Höhe nach zum größten Teil Recht gegeben. Das IMPP wurde verurteilt zu einer Schadensersatzleistung von € 102.258,00, zzgl. 4% Zinsen seit 06.08.1998 und es wurde festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist dem Kläger den weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der auf dem Nichtbestehen der ärztlichen Prüfung beruht. Dieser Schaden wird eine erhebliche Höhe annehmen.


Wortlaut des Urteils des Landgerichts Mainz:

Landgericht Mainz
-4 O 163/98-
Verkündet am 04. Mai 1999

Im Namen des Volkes!
Urteil
In dem Rechtsstreit

des Herrn N.N.
Klägers,
Prozeßbevollmächtigte:
gegen
des Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen -Körperschaft des öffentlichen Rechts, vertreten durch den Präsidenten, Große Langgasse 8, 55116 Mainz
Beklagte,

Prozeßbevollmächtigte:

hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Mainz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.03.1999 durch den Vizepräsidenten des Landgerichts N.N., die Richterin am Landgericht N.N. und den Richter am Landgericht N.N. für Recht erkannt:

1. Die Beklagte zu wird verurteilt, an den Kläger 257.986,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 06.08.1998 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der auf dem Nichtbestehen der ärztlichen Prüfung auf Grund des Bescheides des Prüfungsamtes der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg vom 23.09.1990 (August 1990) beruht.
3. Der Kläger trägt seine außergerichtlichen Kosten und die Gerichtskosten zu ¼, die Beklagte diese Kosten zu ¾. Die Beklagte trägt außerdem ihre eigenen außergerichtlichen Kosten selbst. Die Kosten der Anrufung des unzuständigen Landgerichts München I trägt der Kläger.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 280.000,00 DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Beklagte ist eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts und aufgrund eines Länderstaatsvertrages unter anderem bundesweit für die Ausarbeitung der Prüfungsaufgaben für das Antwort-Wahlverfahren und die Auswertung der ärztlichen Prüfung zuständig. Nach der Auswertung werden die Ergebnisse den jeweiligen Landesprüfungsämtern mitgeteilt, die den Prüflingen dann einen Bescheid über das Bestehen bzw. Nichtbestehen der Prüfung erteilen.

Für die Erstellung der Prüfungsfragen werden von der Beklagten 16 hauptamtliche wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigt, die in Zusammenarbeit mit externen Sachverständigen die Fragen ausarbeiten. Diese Fragen werden erst nach zweimaliger Kontrolle durch zwei Kommissionen für Prüfungszwecke verwendet.

Der Kläger ist seit dem 01.06.1998 zugelassener Arzt. Im August 1990 nahm er als Wiederholer am II. Abschnitt der ärztlichen Prüfung teil. Die Fragen, die ihm zur schriftlichen Beantwortung gestellt wurden, waren von der Beklagten erarbeitet worden. Durch Bescheid vom 25.09.1990 teilte die Universität Erlangen-Nürnberg als Prüfungsamt dem Kläger mit, daß er die Prüfung endgültig nicht bestanden habe und eine Wiederholung nicht mehr möglich sei. Grundlage dieses Bescheides war die Auswertung der Prüfungsfragen des Klägers durch die Beklagte. Diese hat bei den Fragen 76/II und 80/II als unrichtig beantwortet bewertet, da der Lösungsvorschlag des Klägers nicht mit der Musterlösung übereinstimmte. Anschließend wurde er durch die Universität Erlangen-Nürnberg exmatrikuliert.

Gegen die Prüfungsentscheidung erhob der Kläger im Jahre 1991 Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach mit dem Antrag, die Universität zu verpflichten, ihm ein Zeugnis über das Bestehen des II. Abschnitts der ärztlichen Prüfung zu erteilen, hilfsweise, ihn zur Wiederholung der Prüfung zuzulassen; die Beklagte wurde in diesem Verfahren beigeladen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage durch Urteil vom 18.02.1992 ab.

Nach Ansicht des Gerichts waren die Fragen 76/II und 80/II wegen Mißverständlichkeit der Fragestellung nicht ordnungsgemäß gestellt worden; es hatte sie dem Kläger aber auch nicht als richtig beantwortet gutgeschrieben. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, der durch Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (künftig VGH) vom 12.05.1995 stattgegeben wurde, wobei das Gericht davon ausging, daß die Frage 76/II allein vom Kläger zutreffend beantwortet worden ist und bei der Frage 80/II die Antwort zumindest auch richtig ist.

Nach Erteilung des Zeugnisses über das Bestehen des II. Abschnitts der ärztlichen Prüfung setzte er Kläger seine Ausbildung fort und schloß sie erfolgreich ab. Wenn ihm schon im Jahre 1990 das Zeugnis über das Bestehen der ärztlichen Prüfung erteilt worden wäre, hätte er seine Ausbildung 5 Jahre früher abschließen können und wäre zudem in ein Anstellungsverhältnis übernommen worden. Durch die Verzögerung sind dem Kläger – unter Anrechnung der tatsächlich erzielten Einnahmen – Einkommenseinbußen in Höhe von ca. DM 260.000 entstanden. Einen sozialversicherungsrechtlichen Schaden und einen weiteren Schaden, der ihm dadurch entstehen kann, daß seine Kassenarztzulassung nunmehr schwieriger zu erhalten ist, kann der Kläger derzeit noch nicht beziffern.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe ihn schuldhaft geschädigt, indem sie schon bei der Erstellung der Fragen fahrlässig gehandelt habe. Spätestens seine substantiierte Rügen hätten der Beklagten Veranlassung geben müssen, ihn klaglos zu stellen. Auf das Urteil des Verwaltungsgerichts könne die Beklagte das Fehlen eines Verschuldens nicht stützen, da auch dieses die Fragen als rechtswidrig eingestuft, aber die Klage aus anderen Gründen abgewiesen habe. Überdies stehe das Verschulden der Beklagten mit Bindungswirkung für das Zivilgericht durch das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes fest.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 257.986 nebst 4% Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit (dem 06.08.1998) zu zahlen.
2. Festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen bis dato nicht bezifferbaren künftigen materiellen Schaden, insbesondere den sozialversicherungsrechtlichen Schaden, zu ersetzen, der ihm durch den Bescheid des Prüfungsamtes nach der Approbationsordnung für Ärzte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Auftrag des Bayer. Staatsministeriums des Innern vom 23.09.1990 über die Ergebnisse der ärztlichen Prüfung (August 1990) entstehen wird.

Die Beklagte beantragt:

die Klage abzuweisen

Die Beklagte ist der Ansicht, ihr könne kein Verschulden bei der Erarbeitung der Prüfungsfragen vorgeworfen werden. Durch die interne Organisation bei der Erstellung der Fragen habe sie die größtmögliche Sorgfalt beachtet. Die Möglichkeit, daß trotz Beobachtung dieses Sorgfaltmaßstabes dennoch Fragen nicht den Anforderungen der ÄAppO entsprechen, sei dem System des Antwort-Wahlverfahrens immanent und könne nicht ausgeschlossen werden.

Eine Verpflichtung, auf die Rüge des Klägers hin das Prüfungsergebnis zu berichtigen, habe nicht bestanden, da sie auf die Korrektheit ihrer Fragestellungen habe vertrauen dürfen, was auch durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach bestätigt worden sei. Überdies sei ein Verschulden bei der Erarbeitung der Prüfungsfragen schon deshalb zu verneinen, weil ein kollegialbesetztes Gericht, das Verwaltungsgericht Ansbach, ihre Entscheidung bestätigt habe.

Der Kläger hatte zunächst auch den Freistaat Bayern als Gesamtschuldner neben dem Beklagten mitverklagt und den Rechtsstreit beim Landgericht München I anhängig gemacht. Er hat dann die Klage gegen den Freistaat zurückgenommen und Verweisung des Rechtsstreits an das erkennende Gericht beantragt, der das Landgericht München I entsprochen hat.

Wegen des Vorbringens der Parteien im übrigen wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze (nebst den Anlagen dazu) und auf ihre Erklärungen in der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von DM 257.986 wegen Amtspflichtverletzung aus p. 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu.

1.1. Die Beklagte haftet nach Art. 34 GG als Anstellungskörperschaft für die durch ihre Amtsträger einem Dritten, nämlich dem Kläger entstanden Schäden.

Amtsträger ist jede Person, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes sind Amtsträger im Sinne des Art. 34 GG, der nicht auf die staatsrechtliche Beamteneigenschaft, sondern die öffentliche Funktionserledigung abstellt. Innerhalb der Organisation der Beklagten haben solche Amtsträger gehandelt, wobei eine Individualisierung nicht erforderlich ist. Es muß vielmehr nur ausgeschlossen sein, daß ein Dritthandeln den Schaden verursacht hat; das scheidet hier unstreitig aus.

1.2. Die Aufstellung und Bewertung der Prüfungsaufgaben des Klägers oblag den Bediensteten der Beklagten auch als Amtspflicht.

Amtspflicht ist dabei die Verpflichtung des Bediensteten gegenüber seinem Dienstherrn zur pflichtgemäßen Aufgabenerfüllung. Die Erstellung der Fragen 76/II und 80/II war objektiv rechtswidrig. Die rechtskräftige Entscheidung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofes hat Bindungswirkung auch für die Zivilgerichtsbarkeit, der es insoweit verwehrt ist, zu einer abweichenden Beurteilung der rechtskräftig festgestellten Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidung zu gelangen (Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 122). Diese Bindungswirkung trifft auch die Beklagte, weil sie im Verwaltungsrechtsstreit beigeladen war.

1.3 Die der Beklagten bzw. ihren Bediensteten obliegende Amtspflicht war auch drittschützend. Das ist der Fall, wenn die verletzte Pflicht zumindest auch den Sinn hatte, den Geschädigten vor Schäden der eingetretenen Art zu bewahren. Auch eine bei der Entscheidung nur mitwirkende Behörde wie die Beklagte, die im Außenverhältnis zum Bürger nicht in Erscheinung tritt, hat diesem gegenüber zumindest dann eine drittschützende Amtspflicht, wenn deren Verhalten Bindungswirkung für die Entscheidung der anderen Behörde, die nach außen auftritt, hat (BHG NJW 1998, 2738, 2739). Die jeweiligen Prüfungsämter der Länder sind bei der Feststellung der Prüfungsergebnisse gegenüber den Kandidaten an die Auswertung der Beklagten gebunden, da diesen nur bei evidenter Fehlerhaftigkeit der Fragestellung ein Eliminierungsrecht zusteht (§ 14 Abs. 4 Satz 1 ÄAppO).

1.3. Die Beklagte hat im Ergebnis auch schuldhaft gehandelt.

1.4.1. Zwar vermag die Kammer nicht der Ansicht des Klägers zu folgen, da die Bindungswirkung des VGH-Urteils sich auch auf das Verschulden beziehe, da insoweit der VGH keine Entscheidung getroffen hat, die an der Rechtskraft des Urteils teilnimmt (BGH NJW 1983, 2241), aber schon die Erstellung der Prüfungsfragen 76/II und 80/II muß als schuldhaft bewertet werden. Diese Fragestellungen entsprechen objektiv nicht den Anforderungen, die § 14 Abs. 2 Satz 1 ÄAppO stellt, weil sie verschieden Lösungsmöglichkeiten zulassen; damit muß aber der Kandidat nicht rechnen.

Eine insoweit fehlerhafte Fragestellung ist zwar wegen der besonderen Schwierigkeit des Prüfungsverfahrens in der Form des Antwort-Wahlverfahren niemals gänzlich ausgeschlossen und deshalb als systemimmanente Fehlerquelle hinzunehmen (BVerfGE 84, 59, 65). Das hat auch der Gesetzgeber gesehen und durch die Eleminierungsregelung des § 14 ÄAppO entsprechend berücksichtigt. Zu weit ginge aber auch der Rückschluß, daß damit ein Verbot der Anknüpfung des Verschuldenvorwurfes an die Fragestellung verbunden ist. Zwar können wegen der erheblichen Gefahren für die öffentlichen Staatshaushalte, aber auch wegen der Bedürfnisses, die öffentliche Aufgabenerledigung nicht übermäßig durch unübersehbare Haftungsfolgen zu erschweren, einschränkende Auslegung geboten sein (in dieser Tendenz verneint die Rechtsprechung zumeist die Drittbezogenheit der Amtspflicht bei legislativem Unrecht, vgl. Ossenbühl aaO, S. 104 ff. mwN), aber die gesetzgeberische Entscheidung für das Antwort-Wahlverfahren und die Eliminierungsregelung können nur dahin verstanden werden, daß der Gesetzgeber nur die Effektivität des Verwaltungsverfahrens sichern wollte. Weitere Regelungen, insbesondere im Bezug auf Haftungsfolgen, sind nicht erkennbar und wären auch angesichts der schutzwürdigen Belange des Kandidaten, der das Prüfungsverfahren so hinnehmen muß, unverhältnismäßig.

1.4.2. Grundsätzlich ist es Sache des Klägers, ein Verschulden zu behaupten und zu beweisen, wobei hier einerseits die Beweiserleichterung eingreift, daß der Verschuldensmaßstab entindividualisiert und objektiviert ist, d. h. der Kläger muß nur nachweisen, daß irgendein Bediensteter fehlsam gehandelt hat; dies ist ihm nicht gelungen.

Es ist davon auszugehen, daß zumindest einem Mitarbeiter der Beklagten Fehler bei der Erarbeitung der Prüfungsfragen schuldhaft unterlaufen sind. Es war Aufgabe der Beklagten, die Frage für das Antwort-Wahlverfahren anhand der maßgeblichen Fachliteratur zu überprüfen und im Zweifelsfall, wenn die Fachliteratur keine eindeutigen Lösungsvorschläge zuläßt, auf eine solche Frage zu verzichten. Hiergegen haben die Mitarbeiter der Beklagten verstoßen. Der VGH hat alleine schon nach Durchsicht der einschlägigen Fachliteratur und ohne Einschaltung eines Sachverständigen feststellen können, daß die Aufgabenstellung nicht hinreichend eindeutig war und damit die Pflichtverletzung der Beklagten vorlag. Bei einer solch evidenten Pflichtverletzung ist nach Ansicht der Kammer auch von einer Verletzung der erforderlichen Sorgfalt auszugehen, so daß eine schuldhafte Pflichtverletzung gegeben ist. Aus der Tatsache des amtspflichtwidrigen Verhaltens kann nach Auffassung der Kammer auf das Verschulden der Beklagten, bzw. ihrer Bediensteten rückgeschlossen werden.

Das Aufzeigen des regelmäßigen Ablaufes bei der Feststellung der Prüfungsfragen reicht nicht als Nachweis fehlenden Verschuldens der Beklagten aus, weil sie konkret hätte beweisen müssen, warum in diesem Termin die Fragen 76/II und 80/II nicht schuldhaft gestellt worden sein sollen.

1.4.3 Überdies hat die Beklagte auch dadurch schuldhaft gehandelt, daß sie die substantiierten Rügen des Klägers nicht zum Anlaß genommen hat, sich unter Einbeziehung der gängigen Studienliterartur zu versichern, ob die Auffassung des Klägers vertretbar ist. Wegen der Besonderheit des eingeschränkten Prüfungsumfanges und der Ausstrahlung von Art. 12 GG auf das Prüfungsverfahren ist es erforderlich, daß die Prüfungsbehörde zeitnah substantiierte Rügen überprüft und ihnen gegebenenfalls abhilft (OVG Koblenz, NVwZ 1992, 399; BVerwG vom 24.02.1993, Az: 6 C 35/92). Schon die Durchsicht der dem VGH zur Verfügung stehenden Literatur hätte bei der Beklagten erhebliche Zweifel wecken oder gar zur Gewißheit der Fehlerhaftigkeit der Fragestellung führen müssen. Der pauschale Vortrag der Beklagten, man habe nach Rücksprache mit Sachverständigen die Richtigkeit der Musterlösung bestätigt bekommen, kann sie deshalb nicht entlasten.

Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, ein Verschulden scheide aus, weil ein kollegialbesetztes Gericht die Entscheidung gebilligt habe. Dieser Grundsatz gilt nach der Rechtsprechung nur deshalb, weil es dem einzelnen Rechtsanwender nicht angelastet werden kann, wenn er keine besseren Rechtskenntnisse besitzt als ein Gericht (Ossenbühl, aaO S. 75). Von diesem Sinn her erschließt sich dann auch die Ausnahme, die gemacht wird, wenn die Behörde eine zentrale Dienststelle ist und eine Maßnahme auf dem Gebiet eines ihr besonders zugewiesenen Spezialgebietes trifft (BGH, NJW 1962, 793, 794). Da die Beklagte als zentrales Institut für die Erstellung von Prüfungsfragen errichtet wurde und mit einem wissenschaftlichen Mitarbeiterstab ausgestattet ist, kann sie sich deshalb auch nicht auf diesen Verschuldensausschluß stützen.

2. Der dem Beklagten durch den verzögerten Abschluß seiner ärztlichen Ausbildung entstandene Schaden in Höhe von 257.986,99 DM ist dem Betrage nach unstreitig und kausal auf die Fehlentscheidung der Beklagten zurückzuführen. Er errechnet sich aus den hypothetischen Einnahmen, die der Kläger als angestellter Arzt ab dem 01.02.1991 bis Mai 1998 erzielt hätte, wenn er seine Ausbildung nach Bestehen des II. Abschnitts hätte fortsetzen können. Angerechnet hat sich der Kläger die in dieser Zeit tatsächlich erzielten Einnahmen.

3. Die Zinsforderung ist aus § 291 BGB begründet.

4. Auch der Feststellungsklage (Antrag zu 2.) ist aufgrund des § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG stattzugeben, da die fehlerhafte Amtshandlung noch weitere, zur Zeit noch nicht bezifferbare Schäden verursacht haben kann. Es ist in der Tat nicht auszuschließen, daß der Kläger einen sozialversicherungsrechtlichen Schaden erleidet und daß ihm weiterhin ein Schaden dadurch entstehen kann, daß er seine Kassenarztzulassung nun nicht mehr erlangt. Beide Schäden kann der Kläger derzeit noch nicht beziffern.

5. Die Entscheidung über die Kostenverteilung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, § 100 ZPO analog, § 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Dabei war zu berücksichtigten, daß die Klagerücknahme für den Kläger keine kostenrechtlichen Vorteile bringen darf. Ohne die Rücknahme der Klage gegenüber dem Freistaat Bayern wäre der Kläger bei teilweisem Unterliegen gegen einen Streitgenossen bei gesamtverbindlicher Inanspruchnahme teilweise mit den Gerichtskosten und seinen eigenen außergerichtlichen Kosten belastet worden (Grundsätze der Kostenverteilung nach Baumbach); dies muß entsprechend auch bei Klagerücknahme gelten.

6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 ZPO. Weiterer Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedarf es nicht, weil dem Freistaat Bayern durch die Inanspruchnahme vor dem Landgericht München I augenscheinlich keine Kosten entstanden sind.

Streitwert: 400.000,00 DM

Das Urteil wurde dem Grund nach bestätigt durch OLG Koblenz, NVwZ 2002,764 und BGH III ZR 140/01. Das Endurteil des OLG Koblenz kürzte lediglich die Schadensersatzhöhe auf 102258,00 EURO zuzüglich Zinsen.

Zum Schadensersatz wegen fehlerhafter Prüfungsentscheidung siehe auch die Entscheidung des BGH unter der Rubrik “Grundsatzentscheidungen” Nr. 23.

Das Oberlandesgericht München hat am 22.06.2006 unter Zitierung der oben genannten Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs einem Prüfling, der die 2. juristische Staatsprüfung nicht bestanden hatte Schadensersatz in Höhe von € 14.312,95 nebst Zinsen zugesprochen und festgestellt daß der Freistaat Bayern verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen materliellen Schaden, insbesondere, den sozialversicherungsrechtlichen Schaden, zu ersetzen, der diesem durch den Bescheid des Landesjustizprüfungsamts vom 16.11.1995 entstanden ist oder noch entstehen wird.

Grundlage war ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12.11.1998, mit dem der Bescheid des Landesjustizprüfungsamtes vom 16.11.1995 aufgehoben und der Freistaat Bayern verpflichtet wurde zur Neubewertung der Aufgabe 6, deren Zweitbewertung mit 0 Punkten angegriffen worden war. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte den Antrag auf Zulassung der Berufung von seiten des Freistaates Bayern zurückgewiesen.

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Weniger erfolgreich war der oben erwähnte Jurastudent, geboren 1944, der 1979 sein Examen schrieb und ´1980 einen Nichtbestehensbescheid erhielt, worauf er in Depression verfiel. Er führte zahlreiche Prozesse meist verlierend, aber teilweise erfolgreich bis zum Bundesverwaltungsgericht und Bundesverfassungsgericht. Schliesslich entschied das Zivilgericht OLG Celle am 18.09.2001, dass die Bewertung von zwei Examensarbeiten rechtswidrig fehlerhaft gewesen sei und die Prüfer ihre Amtspflicht verletzt haben. Er erhielt DM 1500,00 !!! als Verdienstausfallschaden und ein Schmerzensgeld von DM 10000,00. Wegen überlanger Verfahrensdauer wandte er sich an den Europäischen Menschengerichtshof, der die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 6 Abs 1 EMRK am 11.01.2007 verurteilte, an den Kläger 10000,00 EURO als Nichtvermögensschaden zu bezahlen. Dieser wird wahrscheinlich nun bis zum Lebensende um seine Rente prozessieren. Der sagenhafte Fall ist veröffentlicht. Es lohnt sich zwar juristisch hart zu kämpfen, aber nicht wegen einem nichtbestandenen Examen psychisch krank zu werden!

NVwZ 2008,Seite 289