PRESSEERKLÄRUNG der Rechtsanwaltskanzlei RIECHWALD RECHTSANWÄLTE zur Pressemitteilung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 11. März 2019 zur Ablehnung der beantragten Einstweiligen Anordnung auf Aussetzung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) in der Fassung der des Gesetzes zur Überwachung gefährlicher Personen vom 24.07.2017; BayGVBl 2017,388 ff und des Gesetzes zur Neuordnung des Bayerischen Polizeirechts ( PAG-Neuordnungsgesetz) vom 18.05.2018, BayGVBl 2018,301-340 bis zur Hauptsacheentscheidung.

In der Pressemitteilung des VerfGH heißt es:

1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt im Hinblick auf eine Reihe von Rügen schon deswegen nicht in Betracht, weil die Popularklage nach überschlägiger Prüfung insofern offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Dies gilt beispielsweise, soweit die Antragsteller geltend machen, sämtliche angegriffenen Änderungsbestimmungen zum Polizeiaufgabengesetz seien wegen des Verstoßes gegen das Gebot der Normenklarheit verfassungswidrig, weil nach dem Inkrafttreten beider Gesetzesnovellierungen keine konsolidierte, für den Bürger klar lesbare Fassung des Polizeiaufgabengesetzes im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht worden sei. Bei dieser und bei weiteren Rügen fehlt es u.a. an der Darlegung einer Grundrechtsverletzung.“

Ob diese Rechtsansicht im Hinblick auf die klare Regelung des Art. 76 BV richtig ist, kann man unserem anschließend beigefügten, ergänzenden Schriftsatz an den Verfassungsgerichtshof vom 06.11.2018 zu Ziff. A) Seiten. 3-6 entnehmen, insbesondere was der Prozessbevollmächtigte  der Staatsregierung im Popularklageverfahren im Kommentar zur Bayerischen Verfassung Lindner/ Möstl/ Wolf, Verfassung des Freistaats Bayern, Verlag C.H.Beck München, 2009 in Rand-Nr. 1 zu Art. 76 BV u.a. wörtlich schreibt, nämlich dass die Ausfertigung sowie eine Form der Bekanntmachung eines Gesetzes, die den Betroffenen in zumutbarer Weise Kenntnisnahme ermöglicht, zwingende Erfordernisse des Rechtsstaatsprinzips des Art. 3 Abs. 1 BV sind.

Wir sind der Auffassung, dass dieser schwere Mangel der Publizierung des vollen neuen Gesetzestextes entgegen der klaren verfassungsrechtlichen Vorschrift des Art. 76 BV sehr wohl auch das Rechtsstaatsprinzip der Verfassung schwer verletzt und deshalb verfassungswidrig ist.

Dass es an der Darlegung einer Verfassungsverletzung angesichts unserer ausführlichen Schriftsätze an der Darlegung einer Grundrechtsverletzung fehle, ist verfassungsrechtlich nicht nachvollziehbar.

Angesichts dessen, dass sehr viele Bürger gegen dieses Gesetz öffentlich demonstriert haben und Innenminister Herrmann z. B. laut Meldung in der SZ vom 24.01.2019  ebenso wie die Staatregierung im Popularklageverfahren angekündigt hat, das Gesetz zu überprüfen und ev. ändern zu lassen und das Bundesverfassungsgericht die Regelung zur automatischen Kontrolle der KFZ-Kennzeichen, die wir auch angegriffen haben, mit Beschluss vom 18.12.2018; Az. 1 BvR 142/15 teilweise für verfassungswidrig erklärt hat, wäre es ein nobile officium gewesen dieses, wie man aus dem Rubrum und der Begründung des beigefügten Schriftsatzes vom 06.11.2018 ersehen kann, viele ausdrücklich als verletzt gerügte Grundrechte, vor allem die Freiheit der Person nach Art. 102 BV und weitere fundamentale Grundrechte einschränkende Gesetz vorläufig auszusetzen.

Auch angesichts dessen, dass sich auch inzwischen die Mehrheitsverhältnisse im Bayerischen Landtag deutlich geändert haben, gäbe es die Gelegenheit, um viele Vorschriften  dieses Gesetzes intensiv neu zu beraten, denn in dieser Fassung hat es auch gar nicht die  zwingende Erforderlichkeit, die eine auch zu beachtende verfassungsrechtliche Vorschrift in Art. 98 BV regelt, denn wir haben im Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit längst umfassende bundesrechtliche Regelungen.

Vor allem der neu eingeführte Begriff der „drohenden Gefahr“ als die der konkreten, direkten und unmittelbaren Gefahr vorverlegte neue polizeiliche Eingriffsschwelle, droht unseren freiheitlichen Rechtsstaat auszuhöhlen, denn er ist durch die beinhaltete Subjektivität zu unbestimmt, unverhältnismäßig und manipulationsanfällig und stellt selbst eine direkte und konkrete normative Gefahr für unsere Verfassung und unsere Freiheit dar.

Aktuelle Anmerkung 24.02.2023: Der Verkündungsmangel ist bis heute noch immer nicht behoben worden trotz zweier weiterer Gesetzesnovellen, u.a. mit einigen Änderungen der Dauer des sog. Unterbindungsgewahrsams und mit der Verabschiedung des neuen Art. 60 a PAG zur sog. Zuverlässigkeitsüberprüfung, die der BayVerfGH inzwischen gebilligt hat, obgleich über die wesentliche neue vorbeugende polizeiliche Eingriffsschwelle des Art. 11a PAG mit der Verwendung des unbestimmten und schwammigen Begriffs der  “drohenden Gefahr” zur Hauptsache nach ca. viereinhalb Jahren nach Einreichung der Popularklage noch immer nicht entschieden worden ist trotz häufiger Anwendung der Präventivhaft schon während der Pandemie und obwohl das komplette konsolidierte Gesetz noch immer nicht im Bayerischen Gesetz-und Verordnungsblatt entsprechend der Vorschrift des Art. 76 BV veröffentlicht wurde.

Rudolf P.B. Riechwald

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Verwaltungsrecht


Auszug nur eines Schriftsatzes im sog. Eilverfahren:

Im PopularklageVerfahren

nebst

ANTRAG auf Erlass einer EINSTWEILIGEN ANORDNUNG

                                                                                   – Popularkläger und Antragsteller –

Verfahrensbevollmächtigte:

Riechwald Rechtsanwälte, Rechtsanwälte Rudolf P. B. Riechwald und Katrin C. Over, Fachanwälte für Verwaltungsrecht, Franz-Joseph-Straße 9, 80801 München

gegen folgende Vorschriften des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz – PAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.09.1990 (GVBl S. 397, BayRS 2012-1-1-I), das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 18.05.2018 (GVBl S. 301, 434) geändert worden ist. 

 

Angegriffene Artikel des PAG:  
Art. 11 Abs. 3 Art. 35 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Abs. 3 S. 2
Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 b.) Art. 36 Abs. 2 und 4 S. 2 – 5
Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 Art. 37 Abs. 1 und 2 S. 3
Art. 15 Abs. 3 Nr. 1 Art. 38 Abs. 1 und Abs. 2 S. 2 und Abs. 3
Art. 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 und 3 Art. 39 Abs. 1 S. 1
Art. 17 Abs. 1 Nrn. 2, 4 und 5 Art. 40 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3
Art. 18, 20 Nr. 3 S. 2 und 3 Art. 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 4 S. 1 und Abs. 6 S. 1
Art. 21 Abs. 1 Nr. 3 Art. 43 Abs. 2
Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 b) und Abs. 2 Art. 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Art. 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 b) Art. 49 Abs. 3 S. 6
Art. 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 b) Art. 92 Abs. 1 und 2
Art. 34 Abs. 1 und 3 S. 4  

 

Az: Vf. 15-VII-18

wird auf den Vortrag des Bevollmächtigten der Staatsregierung der letzten Legislaturperiode, Herrn Prof. Dr. Möstl mit Schriftsatz vom 09.10.2018, uns zugestellt am 24.10.2018,  und auf die Ausführungen mit Schriftsatz vom 30.10.2018, zugestellt am 05.11.2018, des ehemaligen Bevollmächtigten des Bayerischen Landtages der letzten Legislaturperiode, Herrn   Jürgen W. Heike, in Bezug auf die Beantragung einer Einstweiligen Anordnung auf Außervollzugsetzung der angegriffenen Gesetzesnovellen wie folgt erwidert:

Der Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung auf Aussetzung des Gesetzesvollzugs ist sehr wohl zulässig und begründet, weil das PAG nach Inkrafttreten der beiden angegriffenen Novellen bis dato nicht formell verfassungsgemäß vollständig konsolidiert im vollen Wortlaut im BayGVBl veröffentlicht worden und materiell die Verfassungswidrigkeit der substantiiert angefochtenen Normen offensichtlich ist.

Die neue Staatsregierung muss nämlich nach öffentlichen Äußerungen selbst einräumen, dass diese Gesetzesnovellen nachgebessert werden müssen. Ausweislich des gestrigen Artikels in der Süddeutschen Zeitung vom 05.11.2018 „Freie Wähler erhalten 3 Ministerien in Bayern“ (siehe Anlage A 5) nimmt die CSU bei dem umstrittenen Vorhaben eine Kurskorrektur vor.

Wörtlich heißt es dort: „So soll das Polizeiaufgabengesetz, gegen das Tausende demonstriert hatten, nachgebessert werden. Der Richtervorbehalt soll ausdrücklich festgeschrieben werden. Eine Expertenkommission soll zudem prüfen, ob der Begriff ´drohende Gefahr` korrigiert werden müsse.“

Die neue Staatsregierung muss somit offenbar einräumen, dass die bisherige Ansicht der Vorgängerregierung, dass die angegriffenen Vorschriften nicht gegen die Bayerische Verfassung verstoßen würden, zu prüfen und mit höchster Wahrscheinlichkeit zu revidieren ist.

Aufgrund dieses Eingeständnisses der neuen Regierungskoalition und der neuen Zusammensetzung des Bayerischen Landtages mit den Oppositionsparteien die Grünen, der SPD und der FDP als bekannte Gegner der PAG-Novellen ist es absolut angezeigt die Vorschriften dieses Gesetzes in Form der angegriffenen Gesetzesnovellen vorläufig außer Vollzug zu setzen, da der Bayer. Landtag nunmehr aufgrund des aktuellen Wählerwillens eine völlig andere Besetzung aufweist und es der Bevölkerung nicht zugemutet werden darf, dass diese neuen, gröblich und unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bürger eingreifenden Vorschriften, die nicht unerlässlich im Sinne des Art. 98 Sätze 1-3 BV sind, bis zur Entscheidung des Bayer. Verfassungsgerichtshofs vollzogen werden dürfen.

A)

Nach Art. 76 BV verfassungswidriger Verkündungsmangel des PAG in der Fassung der Gesetzesnovellen vom   24.07.2017 und 18.05.2018

Entgegen der Behauptung des Herrn Prof. Dr. Möstl liegt eine sehr schwere Missachtung des Publizitätsprinzips von Gesetzen durch Missachtung der Vorschrift des Art. 76 BV vor.

Bis dato ist immer noch bis zur Nr. 20 des BayGVBl 2018 vom 31.10.2018 keine für jeden Bürger ordnungsgemäß lesbare, vollständige, konsolidierte Fassung des PAG im Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht worden.

Diese Verfahrensweise verstößt eindeutig gegen den klaren Wortlaut des Art. 76 Abs. 1 der Bayer. Verfassung:

„Die verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze werden vom Ministerpräsidenten ausgefertigt und auf seine Anordnung binnen Wochenfrist im Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht.“

Es ist bereits ausführlich vorgetragen worden, dass im vorliegenden Falle der Wortlaut und die ratio legis gröblich missachtet wurde, indem man nur die Änderungen der bei beiden umfangreichen, in die Grundrechte engreifenden Gesetze im BayGVBl veröffentlich hat, aber nicht eine vollständige, ordentlich lesbare neue Fassung, die allein geeignet ist, der Bayerischen Bevölkerung den neuen Gesetzeswortlaut verständlich zugänglich zu machen!

Zu diesem Problem schreibt der derzeitige Bevollmächtige der Staatsregierung im Popularklageverfahren, Herr Prof. Dr. Möstl im Kommentar Lindner/Möstl/Wolf , Verfassung des Freistaates Bayern, Verlag C.H. Beck München, 2009 in Rand-Nr. 1 zu Art. 76 BV wörtlich:

„Die Ausfertigung, sowie eine Form der Bekanntmachung, die den Betroffenen in zumutbarer Weise eine verlässliche Kenntnisnahme ermöglicht, sind jedoch zwingende Erfordernisse des Rechtsstaatsprinzips (Art. 3 I), die für alle (außenwirksamen) Normen, auch für Rechtsverordnungen und Satzungen gelten…)“

Zu Rand-Nr. 6 schreibt der Autor folgendes:

Bekanntmachung bedeutet die amtliche Veröffentlichung des Gesetzeswortlauts; sie hat in (von der Staatskanzlei redigierten und herausgegebenen) Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt zu erfolgen; eine Verkündung in anderen amtlichen Veröffentlichungsblättern reicht nicht aus.

Die Bekanntmachung darf erst nach der Ausfertigung auf entsprechende Anordnung des Ministerpräsidenten hin, erfolgen. Erst mit der Verkündung ist das Gesetz rechtlich existent und in diesem Sinne „gültig“, aber noch nicht wirksam… Hinsichtlich des Zeitpunkts der Bekanntmachung hat das Datum im Kopf des GVBl. die Vermutung der Richtigkeit für sich; maßgeblich ist letztlich, das Inverkehrbringen (Entäußerung), nicht der Zugang. Ausfertigung und Bekanntmachung dürfen noch nach Beendigung der Legislaturperiode erfolgen, ohne dass der Grundsatz der Diskontinuität entgegenstünde. Die Gesetze sind grundsätzlich vollständig bekannt zu machen (Vollständigkeitsprinzip);“ (Unterstreichung und Fettdruck durch Unterzeichner) von der Bekanntmachung eines Gesetzes im Sinne des Art.76  I muss die auf gesetzlicher Ermächtigung beruhende) Neubekanntmachung eines (geänderten) Gesetzes unterschieden werden, die eine bloß deklaratorische Feststellung des Gesetzes darstellt, die weder Inhalt noch Inkrafttreten berührt.“

Ein solcher Neuerlass und die Verkündung des mehrfach geänderten Gesetzes im Volltext ist gemäß dem Publizitäts- und Vollständigkeitsprinzip  und der rechtsstaatlichen Verpflichtung des Gesetzgebers, seine verabschiedeten Gesetze für jedermann vollständig lesbar zu veröffentlichen, ist in jedem Falle erforderlich, erst recht wenn wie hier die gesamten sehr umfangreichen neuen Texte erst mühsam von sachkundiger Seite, wie z.B. den juristischen Fachverlagen als vollständiger Text konstruiert werden müssen, was den meisten Bürgern gar nicht möglich und auch nicht zumutbar ist.

Prof. Dr. Möstl widerspricht nunmehr selbst seinem eigenen verfassungsrechtlich richtigen Vortrag in der genannten Kommentarstelle, dass eine Verkündung in anderen amtlichen Veröffentlichungsblättern nicht ausreicht. ( a.a.O. RN. 6, Seite 443, 2. Abs. zu Art.76 BV)

Der Bevollmächtigte der vorigen Staatsregierung weicht also in seiner Erwiderung auf die Popularklage und den Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung von seiner eigenen richtigen verfassungsrechtlichen Kommentarmeinung ab, in der er das Vollständigkeitsprinzip der Veröffentlichung ausdrücklich hervorhebt.

Es ist bereits mit Einreichung der Popularklage vorgetragen worden, dass es nicht ausreicht, dass bei großen, umfangreichen Gesetzesänderungen nur die Änderungsgesetze für sich alleine, die zweifellos für die meisten Bürger gar nicht verständlich sein können, im Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht werden.

Die Kanzlei des Unterzeichners hat bis zur Einreichung der Popularklage am 26.07.2018 trotz vieler Recherchen im Internet sowohl im GVBl, als auch im Internetportal Bayernrecht keine konsolidierte vollständige Fassung des neuen PAG, sondern nur die Änderungsgesetze auffinden können. Dies wird hiermit anwaltlich versichert. Die „Nachkonstruktion“ des Unterzeichners im Einreichungsschriftsatz der Popularklage musste dann auch wegen der verwirrenden fragmentarischen Gesetzesänderungstexte nach Erhalt des Volltextes im Internet mit Schriftsatz vom 16.08.2018 erheblich geändert und präzisiert werden, denn erst durch den Hinweis des Geschäftsführers des Bayer. Verfassungsgerichtshofs im Schriftsatz vom 31.07.2018, zugegangen am 02.08.2018, konnte dann eine vollständige Fassung im Internet gefunden werden, die jedoch nicht amtlich ist.

Nach wie vor ist bis dato jedoch im BayGVBl, entgegen dem klaren Wortlaut und entgegen einer verfassungsrechtlich korrekten Auslegung des Art. 76 Abs.1 BV eine konsolidierte Gesetzesfassung im GVBl immer noch nicht veröffentlicht worden, so dass das Publizitätsprinzip nach wie vor verletzt ist.

Deshalb ist durch den Bayerischen Verfassungsgerichtshof festzustellen, dass das durch die beiden angegriffenen Novellen umfangreich im Wesenskern  geänderte PAG mit seinem neuen Wortlaut nicht verfassungsrechtlich rechtsgültig zustande gekommen ist und rechtfertigt deshalb den Antrag, den Vollzug des neuen PAG in der Form der genannten Novellen vom 24.07.2017 und 18.05.2018 bis zur Entscheidung des BayVerfGH auszusetzen.

Gerade angesichts der großen Proteste der Bevölkerung gegen diese angegriffenen PAG-Novellen hätte es das Publizitätsprinzip erfordert, dass die vollständige Neufassung des gesamten Gesetzes schnellstens hätte veröffentlicht werden müssen, zumal der Herr Ministerpräsident sogar öffentlich vorgeschlagen hat, dass Polizeibeamten das Gesetz in den Schulen erklären sollen.

B)

Offensichtliche materielle Verfassungswidrigkeit der neuen Generalklausel des Art. 11 Abs. 3 PAG („drohende Gefahr“) und der neuen Eingriffsschwellen bei „drohender Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“

Der Vortrag des Bevollmächtigten auf Seite 5 seiner Stellungnahme letzter Absatz, dass polizeiliche Maßnahmen, die auf der Grundlage der angefochtenen Regelung bis zur Hauptsacheentscheidung des Verfassungsgerichtshof vollzogen würden, möglicherweise verfassungswidrig seien, ist richtig.

Nicht richtig und verfassungsrechtlich und rechtsstaatlich verfehlt ist jedoch die euphemistische Schlussfolgerung, dass die darin liegende Gefahr von Grundrechtsverletzungen im vorliegenden Falle jedoch dadurch gemindert werde, dass die angefochtenen Rechtsvorschriften strengen formellen und materiellen Eingriffsschwellen unterliegen und nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls nur dann zur Anwendung gelangen, wenn weniger einschneidende Mittel für eine effektive Gefahrenabwehr nicht zur Verfügung stehen.

Bereits diese Denkweise missachtet die Verfassungsbestimmungen des Art. 98 Sätze 1-3 BV. Es kann und darf nicht sein, dass normatives Unrecht dadurch scheinbar ausgeschlossen werden soll, dass der einzelne Polizeibeamte oder dessen Vorgesetzter natürlich gehalten und verpflichtet ist, beim Vollzug des Gesetzes auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einzuhalten.

Die angegriffenen Vorschriften mit der neuen rechtlich unbestimmten Generalklausel und den neuen, verfassungsrechtlich zu unbestimmten Eingriffsbefugnissen bei „drohender Gefahr“ ermöglichen eben bereits normativ nicht die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und vor allen Dingen aufgrund der Unbestimmtheit der Regelung nicht eine verfassungsrechtlich gebotene Begrenzung der Eingriffsmacht der Polizei in Grundrechte auch unter Berücksichtigung des berechtigten Sicherheitsbedürfnisses der Bürger.

Der neue Begriff der polizeilichen Eingriffsschwelle bei einer „drohenden Gefahr“ wird auch durch die verfassungsrechtlich verfehlte Rechtfertigung und Interpretation des Herrn Prof. Dr. Möstl in seinem Aufsatz in Heft 5 der BayVBl 2018 „Polizeibefugnisse bei drohender Gefahr“ wegen seiner rechtlichen Unbestimmtheit, Unschärfe und Missbrauchsanfälligkeit nicht verfassungsgemäß! Dieser schwammige, rechtlich unbestimmte Begriff als Eingriffsschwelle in die Freiheitsgrundrechte der Menschen programmiert sozusagen bereits normativ mögliches willkürliches polizeiliches Einschreiten!

Kein Wort verschwendet die Erwiderung zum Vortrag der Popularklage, dass die angegriffenen Regelungen gegen die zentralen Verfassungsgebote der Vorschriften des Art. 98 Sätze 1, 2 und 3 BV verstoßen. d.h. in die durch die Verfassung gewährleisteten fundamentalen Grundsätze, dass Grundrechte grundsätzlich nicht eingeschränkt werden dürfen und Einschränkungen durch Gesetz nur zulässig und unerlässlich sind, wenn die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit, Gesundheit und Wohlfahrt es zwingend erfordern. Davon kann hier nicht die Rede sein. Die Terrorismusabwehr ist Bundesaufgabe und das Land ist normativ bereits bundesrechtlich hervorragend geschützt. Vollzugsdefizite der Exekutive dürfen nicht zur Beseitigung der Freiheitsrechte der Menschen führen. Die auch widersprüchlichen und staatsrechtlich sehr gefährlichen Rechtfertigungsversuche des Vertreters der alten Staatsregierung lassen ein großes Defizit am Verständnis der historisch gewachsenen Freiheitsrechte der   Bürger in Bayern vermissen, wie sie von deren Vätern normiert wurden. Auf den bisherigen ausführlichen Vortrag und die vorgelegten Quellen aus der Entstehungsgeschichte des Art.102 BV wird verwiesen.

Die Erwiderung des Bevollmächtigten der alten Staatsregierung bestreitet insgesamt pauschal die Verfassungswidrigkeit der Neuregelungen und lässt auch sehr wichtige Grundrechtsverletzungsrügen unbeachtet und unbeantwortet, die bereits ausführlich dargestellt wurden und deshalb eine Auswahl einiger Artikel nur kurz rekapituliert wird:

  1. Nach Art. 36 Abs. 4 Sätze 1-3 PAG wird es hohen Polizeibeamten anstelle des Richters bei Gefahr im Verzug ermöglicht längerfristige Observationen mit verdecktem Einsatz technischer Mittel mit vielen geheimen Überwachungsmethoden durchzuführen. Der Richtervorbehalt wird nicht nur aufgeweicht, sondern zum Teil beseitigt.
  2. Art. 37 Abs. 2 i.V.m. Art 36 Abs. 4 Satz 2-4 PAG lässt den Einsatz sog. verdeckter Ermittler bei „drohender Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ und Gefahr im Verzug zu, indem die richterliche Entscheidung auf hohe Polizeibeamte delegiert wird! Wo bleibt auch hier die im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gewaltenteilung, indem Polizeibeamten richterliche Tätigkeit gestattet wird!
  3. Auch nach Art 38 Abs.2 i.V. m. Art 36 Abs.4 Satz 2 bis 4 und Art. 37 Abs.2 Satz 3 PAG ist der Einsatz sog. Vertrauenspersonen zum verdeckten Betreten einer fremden Wohnung möglich, anstatt durch richterliche Genehmigung entgegen dem strengen Gewaltenteilungsprinzip zum Teil durch Übertragung der Befugnis des Betretens von Wohnungen auf hohe Polizeibeamte!

Art. 38 Abs. 5 Ziffer 4. PAG normiert die geforderte Qualifikation von sog. Vertrauenspersonen also als Polizeispitzel u.a. mit folgendem Text:

„Als Vertrauensperson darf nicht eingesetzt werden, wer im Bundeszentralregister mit einer Verurteilung als Täter eines Totschlags ( §§ 212,213 des Strafgesetzbuches-STGB) eingesetzt werden oder einer allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat eingetragen ist.“

Dass Abgeordnete des letzten Bayerischen Landtages mit ihrer großen Mehrheit und eine Bayerische Staatsregierung so etwas Unglaubliches gesetzlich verabschiedet und offenbar geglaubt haben, dass eine solche Befugnis des Staates, als „Undercoveragenten“ sogar sonstige Schwerstkriminelle einsetzen zu dürfen und dies rechtmäßig sei, ist in der fast 72 -jährigen Geschichte der Verfassung ein einmaliger, unverzeihlicher Missgriff, nämlich eine Schande!

  1. Art. 39 Abs. 2 i.V.m. Art. 36 Abs. 4 Satz 2 und 3 PAG lässt den Einsatz sog. automatisierter Kennzeichenerkennungssysteme zwar mit Richtereinschaltung, aber bei Gefahr im Verzug auch lediglich durch Anordnung von hohen Polizeibeamten zu, was ebenfalls eine schwere Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips bedeutet.
  2. Nach Art. 41 Abs. 4 i.V.m. Art. 36 Abs. 4 Satz 2 PAG dürfen ebenfalls bei Gefahr im Verzug der Einsatz technischer Mittel in Wohnungen durch hohe Polizeibeamte anstatt des Richters angeordnet werden.
  3. Nach Art. 42 Abs 6 PAG sind schwere Eingriffe in den Telekommunikationsbereich möglich, also der Einsatz des sog. Staatstrojaners, also die Funktion des Staates als Hacker und damit die bewirkte komplette Erschütterung des Vertrauens der Bürger in die gesamte Telekommunikation und die Vertrauenswürdigkeit elektronischer Kommunikationsmittel. Dass diese Anordnung der Maßnahmen bei Gefahr im Verzug, aber auch bei nur drohender Gefahr anstatt des Richters auf hohe Polizeibeamte übertragen werden dürfen, sprengt das verfassungsrechtliche Gebot der Gewaltenteilung in extremer und nicht hinnehmbarer Weise.
  4. Nach Art. 45 Abs.3 PAG dürfen Zugriffe auf informationstechnische Systeme zwar nur durch den Richter bei „drohender Gefahr“ angeordnet werden, bei Gefahr im Verzug wiederum durch hohe Polizeibeamte, die in Art. 36 Abs. 4 Satz 2 PAG genannt werden.
  5. Nach Art. 46 Abs. 3 PAG darf bei Gefahr im Verzug sogar eine Rasterfahndung anstatt durch den Richter durch Hohe Polizeibeamte angeordnet werden.
Die gravierende Ausdehnung und Übertragung von schwer in die Grundrechte der Menschen eingreifenden Befugnissen, die dem  Richtervorbehalt unterliegen, auf hohe Beamte der Executive entmachtet die Judikative und verletzt in so extremer Weise das Rechtsstaatsgebot und Demokratieprinzip in Form der Gewaltenteilung, dass diese Regelungen als offensichtlich verfassungswidrig  auch bereits im Eilverfahren angesehen werden müssen, weil sie gegen Art. 1 Abs.1 i.V.m. Art. 2 BV i.V.m. Art. 3  Abs.1 BV und Art. 98 Sätze 1-3 BV  gravierend verstoßen.
  1. Der gebotene Schutz von Berufsgeheimnisträgern wird durch die Formulierungen des Art. 49 Abs. 3 Nr. 8. 2 Satz 6 PAG in unverhältnismäßiger und verfassungswidriger Weise ausgehöhlt, indem in Kernbereichsdaten, die vor oder bei Datenerhebung nicht ausgesondert werden, doch zugegriffen werden darf „wenn hierbei eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass dabei in untergeordnetem Umfang höchstpersönliche Daten miterfasst werden“.

Diese Regelung ist unhaltbar und erschüttert das Vertrauen der Bürger in den Geheimhaltungsschutz ihrer Berufsgeheimnisträger.

Die Normierung derart gravierender Eingriffsermächtigungen in Grundrechte durch den Staat, ohne richterliche Anordnung durch Delegation auf hohe Polizeibeamte zuzulassen, ist so eklatant verfassungswidrig, dass auch diese Vorschriften keineswegs weiterhin in Kraft bleiben dürfen bis zur neuen Gesetzgebung des neu konstituierten Bayerischen Landtags bzw. bis zur Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs.

Die Auslegung der neuen Vorschriften durch Prof. Dr. Möstl, dass mit dem Begriff der „drohenden Gefahr“ lediglich unter strengen Voraussetzungen die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs im eng begrenzten Umfang zum Schutz bedeutender Rechtsgüter reduziert würden und er dies auf das BKAG Urteil des BVerfG vom 20.04.2016 (BVerfGE 141, 220) stützt, obwohl wichtige Regelungen im BKAG-Gesetz zu erheblichen Teilen vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden waren, ist  unhaltbar, weil dort ersichtlich nur die Eingriffsbefugnisse der Polizei bei Vorliegen einer direkten, unmittelbaren und konkreten Gefahr bundesrechtlich geregelt wurden.

Das  durch das neue PAG normative Unrecht durch die angegriffenen Regelungen und die Beschädigung der Freiheitsrechte der Verfassung wird nicht beseitigt, indem der Bevollmächtige auf Seite 7 Abs. 3 darauf hinweist, dass im Übrigen sämtliche polizeilichen Maßnahmen auch schon vor der Hauptsacheentscheidung des Verfassungsgerichtshofs uneingeschränkt der fachgerichtlichen und ggf. verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegen.

Das gleiche gilt für den Vortrag des Bevollmächtigten, dass hinsichtlich der Dauer des Gewahrsams zu berücksichtigen sei, dass die bisherige absolut gesetzliche Höchstgrenze für eine richterlich festzusetzende Höchstdauer einer Freiheitsentziehung verfassungsrechtlich weder durch Art. 104 Abs. 2 GG noch durch Art. 102 Abs. 2 GG geboten sei. Zeitliche Höchstgrenzen seien dort nur für den von der Polizei allein verfügten Gewahrsam geregelt.

Im vorliegenden Falle ermöglicht die neue Normierung jedoch eine uferlose, zeitlich unbestimmte Inhaftierung ohne konkreten Tatverdacht und  ohne Beteiligung der objektiv auch zu Gunsten des Betroffenen ermittelnden Staatsanwaltschaft in einem nicht öffentlichen Verfahren.

Die angegriffenen Normierungen werden nicht dadurch verfassungsgemäß, dass man vorgibt, im Einzelfall müsse der Richter den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten. Dem Richter darf dieses Instrument der möglichen unbestimmten Haftdauer, ohne dass eine konkrete direkte und unmittelbare Gefahr vorliegt, niemals in einem Rechtsstaat normativ vorgegeben werden.

Eine künftige rechtsstaatswidrige Durchführung kann angesichts der deutschen Geschichte niemals ausgeschlossen werden.

Der Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung ist deshalb zulässig und begründet.

Rudolf P. B. Riechwald

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Verwaltungsrecht