Gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) in der Fassung des Gesetzes zur Überwachung gefährlicher Personen vom 24.07.2017 und in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts (PAG) vom 18.05.2018 wurden von verschiedenen Seiten aus Verfassungsbeschwerden zum Bundesverfassungsgericht und Popularklagen zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Die Anwaltskanzlei Riechwald Rechtsanwälte hat bereits am 25.07.2018 Popularklage nebst einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf vorläufige Aussetzung des Vollzugs dieses Gesetzes beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof gestellt, weil das Gesetz, gegen das zwanzig verfassungsrechtliche Rügen erhoben wurden, noch immer nicht offiziell in voller konsolidierter Fassung im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt im Internet veröffentlicht worden ist. Aus diesem Anlass haben die Kläger als Körperschaften des öffentlichen Rechts folgende Presseerklärung herausgegeben:

Pressemitteilung
Bund für Geistesfreiheit München
17.09.2018

Rechtsstaat und Bürgerrechte vor CSU schützen: Bund für Geistesfreiheit reicht Popularklage gegen Polizeiaufgabengesetz ein
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit und Nichtveröffentlichung des novellierten Gesetzes

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Bund für Geistesfreiheit München K.d.ö.R. (bfg München) und der Bund für Geistesfreiheit Bayern K.d.ö.R. haben bereits am 25.08.2018 eine Popularklage und einen Eilantrag auf vorläufige Aussetzung des Gesetzesvollzug gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Nach Auffassung der Kläger sind die vom 24.07.2017 und vom 18.05.2018 novellierten Artikel des Gesetzes verfassungswidrig, da sie zahlreiche im deutschen Grundgesetz und in der bayerischen Verfassung garantierte Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger massiv verletzen – wie z.B. das Grundrecht der Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Grundrechte auf Freiheit der Person und körperliche Unversehrtheit, das Rechtsstaatsprinzip, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses sowie die Grundrechte auf Freizügigkeit, auf informationelle Selbstbestimmung und auf Unverletzlichkeit der Wohnung.

“Noch nie wurden in Deutschland so viel Grund- und Menschenrechte auf einmal verletzt wie beim bayerischen PAG. Uns geht es mit unserer Klage darum, Rechtsstaat und Bürgerrechte vor der CSU und der bayerischen Staatsregierung zu schützen, die offensichtlich den Weg in den autoritären Polizei- und Überwachungsstaat eingeschlagen haben,” stellt Assunta Tammelleo, stellvertretende Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit München, fest.

Die Popularklage richtet sich gegen alle Artikelneufassungen, in denen der neue unbestimmte Rechtsbegriff „zur Abwehr einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ (Art. 11 Abs. 3 PAG) verwendet wird. Diese neue Formulierung betrifft vor allem die auf Antrag der Polizei anzuordnende überlange präventive Freiheitsentziehung von 3 Monaten mit „jeweiliger“ Verlängerungsmöglichkeit um weitere 3 Monate, also die sog. Unterbindungshaft, die rechtlich auf unbestimmte Dauer durch Richter des Familiengerichts (!) im Wege der Freiwilligen Gerichtsbarkeit angeordnet werden kann.
“Eine präventive Haft von dieser Dauer ohne konkreten Tatverdacht, ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft, ohne Durchführung eines öffentlichen Verfahrens stellt die eklatanteste normative Grundrechtsverletzung des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 3 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung (BV) und des Grundrechts der Freiheit der Person aus Art. 102 Abs. 1 und 2 der BV dar seit ihrem Inkrafttreten im Jahre 1946. Sie ist rechtsstaatlich völlig unverhältnismäßig und damit grob verfassungswidrig,” sagt RA Rudolf P.B. Riechwald, der den Bund für Geistesfreiheit in dem Verfahren vertritt.
Tammelleo ergänzt: “Der neue Rechtsbegriff der ‘drohenden Gefahr’ gibt der Exekutive bzw. den einzelnen Polizeibeamten vor Ort und auch den Richtern wegen der schwammigen und nicht näher definierten Begrifflichkeit eine viel zu große Auslegungs-, Zugriffs- und Eingriffsmacht in Grundrechte, ohne dass überhaupt eine Straftat geschehen wäre. Die überlange Ausdehnung des Unterbindungsgewahrsams von 14 Tagen auf drei Monate oder länger macht diese Präventivhaft zu einer ‘Strafe auf Verdacht’ und zu einer ‘vorbeugenden Strafe’. Das darf es in einem Rechtsstaat nicht geben.”

Gravierend und verfassungsrechtlich unverhältnismäßig sind auch die zahlreichen weiteren und erschreckenden Überwachungsmaßnahmen und Grundrechtseinschränkungen bei “drohender Gefahr” (z.B. DNA-Entnahme, Platzverweise, Kontaktverbote, Aufenthaltsverbote, Aufenthaltsgebote, Fußfessel, Postüberwachung, Polizeispitzel, verdeckter Zugriff auf PC, Smartphone, Tablet). Zudem wird der Richtervorbehalt aus den Angeln gehoben, indem die Befugnis zur Einleitung von Überwachungsmaßnahmen auch auf hohe Polizeibeamte übertragen werden kann. Dadurch wird das Gewaltenteilungsprinzip in schwerer Weise verletzt. Auch hier sind die Maßnahmen zwar befristet – beim Einsatz von verdeckten Ermittlern und Polizeispitzeln oder beim Betreten von privaten Wohnungen z.B. auf sechs Monate – können aber um jeweils sechs Monate verlängert werden. Auch der wichtige Schutz der Berufsgeheimnisträger und ihrer Mandanten, Klienten und Patienten wird ausgehöhlt, weil man bei elektronischen Überwachungsmaßnahmen den Kernbereich der Privatsphäre nicht ausreichend effektiv schützt.

Wegen der offensichtlichen Verfassungswidrigkeit der neuen Regelungen des PAG, die laut Medienberichten inzwischen mehrmals zur Anwendung gekommen sind, und weil das novellierte PAG noch immer nicht als komplett lesbares Gesetz im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht wurde, haben die Kläger einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. “Die Einstweilige Anordnung ist in unseren Augen dringend geboten, um schwere Nachteile für die Bürgerinnen und Bürger sowie den Rechtsstaat in Bayern abzuwenden. Und es kann auch nicht sein, dass derart drastische Eingriffe in die Grundrechte der Bürger nicht unverzüglich durch den Gesetzgeber in einer für alle lesbaren Fassung erscheinen,” stellt Tammelleo fest.

In Art. 98 BV heißt es: “Die durch die Verfassung gewährleisteten Grundrechte dürfen grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Einschränkungen durch Gesetz sind nur zulässig, wenn die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit, Gesundheit und Wohlfahrt es zwingend erfordern. (…) Der Verfassungsgerichtshof hat Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht verfassungswidrig einschränken.”
RA Riechwald sieht daher dringenden Handlungsbedarf und den Verfassungsgerichtshof in der Pflicht: “Wenn der Gesetzgeber Grundrechte ohne zwingenden Grund i.S.d. Art. 98 unverhältnismäßig einschränkt, verlieren diese Grundrechte ihre moralische Kraft. Die PAG-Änderungsgesetze vom 24.07.2017 und vom 18.05.2018 impfen der Verfassung des Freistaats Bayern, insbesondere dem Grundrecht der Freiheit der Person aus Art. 102 BV einen die Demokratie gefährdenden Virus ein. Deshalb ist zum Schutze der Verfassung Eile geboten und auch der Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung zur Verhütung irreparablen Schadens an Grundwerten der Verfassung zulässig und begründet.”

Tammelleo hofft außerdem auf die bevorstehenden Landtagswahlen: “Die Menschen in Bayern können den Allmachtsfantasien von Söder, Herrmann, Seehofer und Dobrindt schon am 14. Oktober eine deutliche Abfuhr erteilen. Denn obwohl die Neufassung des PAG mit der Terrorgefahr begründet wurde, können wir alle allein aufgrund einer Ordnungswidrigkeit in das Fadenkreuz des PAG geraten. Die künftigen Koalitionspartner der CSU nach der Landtagswahl fordern wir auf, eine sofortige Novellierung des PAG anzugehen, damit menschenrechtliche Standards und rechtsstaatliche Prinzipien wieder gewährleistet sind.”